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Schulleben im Ausnahmezustand

Lernen einmal anders (Elternbrief vom 12.03.2020)

Im Frühjahr 2020 legte das Corona-Virus viele Teile Deutschlands und der ganzen Welt lahm und sorgte für massive Veränderungen des Schulalltags, auch an der GAG. Die niedersächsische Landesschulbehörde beschloss bereits am 13. März die Aussetzung des Schulbetriebs, um steigende Infektionszahlen und Todesfälle durch das bis dahin weitgehend unbekannte Virus zu verhindern. Die Schulen gingen damit als einer der ersten gesellschaftlichen Sektoren in den „Lockdown“. An der GAG zeichnete sich diese Entscheidung bereits einige Tage zuvor ab, denn die Lehrer*innen waren dazu angehalten, zu überprüfen, ob die Schüler*innen sich auf der Schulplattform „Iserv“ anmelden konnten. Man wappnete sich für das bis zu diesem Zeitpunkt Undenkbare, eine pandemiebedingte wochenlange Schulschließung, die dann nicht die einzige bleiben sollte und sich im folgenden Winter und Frühjahr wiederholte. Eine Zeit des Distanz- oder Wechselunterrichts begann, das gemeinsame Lernen im Schulgebäude war wiederholt nicht oder nur mit besonderen Vorsichtsmaßnahmen möglich.

So spürt die Schule den schweren Ernst dieser gewaltigen Zeit bis ins Innerste (Schulrundbrief aus dem Jahr 1944)

Derlei weitreichende Beschränkungen des schulischen Lernens kannte man an der GAG bis dahin nur aus der Kriegs- und Nachkriegszeit der 1930er und 1940er Jahre. Schon vor Kriegsbeginn 1939 war der Schulalltag an der Graf-Anton-Günther-Schule von der nationalsozialistischen Ideologie geprägt. So feierte man zum Beispiel 1937 das fünfjährige Bestehen der NS-Regierung in Oldenburg und ab 1938 auch regelmäßig den Führergeburtstag. Doch mit dem Zweiten Weltkrieg begann endgültig eine Zeit des Ausnahmezustandes. Klassenfahrten, Schulfeste und Elterntage konnten nicht mehr stattfinden und auch der Unterricht fiel zu großen Teilen aus. Stattdessen wurde die Unterrichtszeit mit dem Nähen von Sandsäcken, dem Ausbau von Luftschutzkellern oder mit Ernteeinsätzen verbracht. Ab 1942 mussten sich Schüler zu Luftwaffenhelfern ausbilden lassen und gegen Kriegsende traten auch Aufgaben wie Kochen und das Errichten von Schanzen in den Schulalltag der Schüler*innen. Die Schulferien wurden verlängert und der Unterricht begann erst um 10 Uhr, da eine große Fliegergefahr bestand. Die Schüler*innen, die mit dem Zug zur Schule fuhren, waren dieser Gefahr besonders häufig ausgesetzt, da die fahrplanmäßigen Züge regelmäßig von Tieffliegern angegriffen wurden. Fand ein Fliegerangriff während der Schulzeit statt, suchte man in dem sog. „Zick-Zack-Bunker“ auf dem Schulhof Schutz. Im September 1943 kam es aufgrund von Fliegerangriffen zum Tod von fünf Schülern der GAG, vier davon starben während eines Einsatzes als Luftwaffenhelfer.

Eine weitere Einschränkung des Schullebens bestand darin, dass im Verlauf des Krieges immer mehr Lehrer eingezogen wurden, sodass 1944 nur noch knapp 2/3 des Lehrkörpers zur Verfügung standen. Doch nicht nur die Lehrer, sondern auch Schüler verließen die GAG, um in der Wehrmacht zu dienen. 1939 wurde ein Erlass in Kraft gesetzt, der männlichen Abiturienten erlaubte, ihre Schule sofort zu verlassen und Kriegsdienst zu leisten. Wurden sie dann einberufen, erkannte man ihnen das Abitur auch ohne den eigentlichen Abschluss an. Dies förderte den freiwilligen Abgang von älteren Schülern der GAG seit Kriegsbeginn stark. Ab November 1944 fand der Unterricht nur noch jeden zweiten Tag statt, da aus einem Mangel an Kohle nur noch eingeschränkt geheizt werden konnte. Im Frühjahr 1945 schloss man die GAG schließlich aus Sicherheitsgründen komplett.

sie möchten trotz der Not und Enge sich hier heimisch fühlen (Bericht von einer Schulleiterrede aus dem Jahr 1947)

Nach der Entlassung vieler Lehrer*innen, unter anderem dem bisherigen Schulleiter Dr. Limann, wurde die GAG am 6. Oktober 1945 schließlich wiedereröffnet. Doch auch die anschließende Nachkriegszeit stellte einen Ausnahmezustand für die Graf-Anton-Günther-Schule dar. Unterrichtet wurden zunächst 209 Schüler*innen in sechs Jahrgangsstufen, darunter viele Jungen, die zuvor als Soldaten gekämpft hatten, und zahlreiche Flüchtlingskinder aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Der damalige Schulleiter beschrieb im ersten Nachkriegsjahresbericht der GAG nicht nur eine damit einhergehende Überalterung der Klassen, sondern auch die Schwierigkeiten der „jungen Männer der Oberklassen, die als Offiziere in selbständigeren Stellungen gewesen waren, […] sich wieder in den Schulbetrieb einzufügen.“ Zudem trauerte die Schulgemeinschaft in einer ersten Totengedenkfeier am 24. November 1945 um zwei im Krieg getötete Lehrer und mehr als 60 Schüler, die als Soldaten ihr Leben verloren hatten.

Die Nachwirkungen des Krieges zeigten sich zudem am Schulgebäude, zunächst in der Brüderstraße, ab März 1946 dann im Alten Palais: Beide waren von Besatzungstruppen genutzt worden und mussten für den Schulbetrieb erst hergerichtet werden. Es fehlte unter anderem Mobiliar, so dass Schüler*innen zum Teil ihre eigenen Stühle mitbringen mussten, um diese, davor kniend, als Schreibtische zu nutzen. Im Januar 1947 war dann Präsenzunterricht zwischenzeitlich gar nicht möglich, da das Schulgebäude wegen Kohlemangel nicht beheizt werden konnte.

Text und Bild: M. Schumacher mit Schüler*innen des Seminarfachs “Schulgeschichte(n) erforschen” (2019-2021)

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