„Tagsüber war ich Hitlerjunge, aber nachts war ich Jude“
„Er hat das alles so echt erzählt“, meinte die eine Schülerin. Die andere: „Dass er sich das alles getraut hat, ist einfach unglaublich“. Zwei kurze Eindrücke, die aber wiedergeben, was alle gehört und gefühlt haben, die Sally Perel zuhören konnten. Prall gefüllt und mucksmäuschenstill war das Forum der Graf-Anton-Günther Schule während des bald zweistündigen Vortrages, der Geschichte lebendig werden lässt.
1925 wurde Sally Perel im niedersächsischen Peine geboren und verbrachte in der Stadt glückliche Kinderjahre – bis zur Einführung der Nürnberger Rassegesetze. Sally Perel musste die Schule verlassen. Seine Familie wurde zunehmend ausgegrenzt und diskriminiert. Seine Eltern kehrten in ihre Heimat Lodz zurück, waren aber auch dort nicht sicher. Nach dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 schickten ihn seine Eltern nach Russland, wo er dann in einem Waisenhaus lebte. Im Juni 1941 fielen jedoch auch hier die Deutschen Truppen ein. So gut wie alle Juden wurden von den Nazis sofort erschossen, aber Sally Perel konnte sich retten. Er vergrub seinen Ausweis und gab vor, der volksdeutsche Junge Josef Perjell zu sein. Ohne viel zu überprüfen glaubten ihm die deutschen Soldaten. Sie nahmen ihn auf und einige Zeit lebte er bei ihnen in der Wehrmacht, für die er als Übersetzer arbeitete. Später schickten sie ihn dann auf eine Eliteschule der Nazis in Braunschweig. Dort wird er sogar Hitlerjunge. Immer, während der vier Jahre auf dieser Schule, hat er Angst, als Jude entdeckt und umgebracht zu werden. „Tagsüber war ich Hitlerjunge, aber nachts war ich Jude”, sagt er. Niemand darf sein Geheimnis wissen. „Das waren keine vier Jahre“, sagt er, „das waren vier Ewigkeiten.“ Sally Perel schaffte es, seine eigentliche Identität zu verbergen, und wurde nie entdeckt, er lebte dennoch in ständiger Angst um sein Leben. „Ich war 16 Jahre alt und wollte leben“, schilderte Sally Perel den Schülerinnen und Schülern der GAG seine Überlebensstrategie.
Erst im fortgeschrittenen Alter schrieb er nach einer Herzoperation seine Lebensgeschichte „Ich war der Hitlerjunge Salomon“ auf und kommt immer wieder nach Deutschland, um Schülerinnen und Schülern über seine Leben und die damalige Zeit zu berichten. Er will damit keine Schuldgefühle wecken, sondern Verständnis, Erleuchtung und Versöhnung. „Holocaustgegner sind entweder dumm, weil sie die Wahrheit nicht kennen oder Verbrecher“, so Sally Perel zu den Schülern. Jeder Mensch habe ein Recht auf Leben und jeder Mensch könne aus der Geschichte lernen. Dazu, meint Perell, müsse jeder sein eigenes kritisches und vor allem selbständiges Denken entwickeln. Zum Schluss seines Vortrages rief er die Schülerinnen und Schüler der GAG auf, ab heute selbst Zeitzeugen zu sein. Sie hätten einen Zeitzeugen erlebt und könnten nun ihrerseits davon erzählen.
Seine Geschichte wurde vor gut zwanzig Jahren verfilmt, der Film bekam den anerkannten Filmpreis „Golden Globe“. Im Anschluss an die Lesung signierte der Autor zahlreiche Bücher und sprach noch ganz intensiv mit einigen Schülerinnen., die ihm dann auch ein ganz großes Schülerkompliment aussprachen: „Vorher war der Unterrichtsausfall das Wichtigste an der ganzen Veranstaltung. Später, im Verlauf, wurde das aber zur absoluten Nebensache.“